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Das Leben siegt

Inhalt
  1. Das Leben siegt
  2. Gott ist alles, alles ist Gott
  3. Der Sinn deines Lebens bist du selbst
  4. Hinter allem Wechsel ruht ein Ewiges
  5. Haben, Tun und Sein
  6. Nur wer sich selbst liebt, kann auch andere lieben
  7. Metamorphosen - oder: Kein Tod ist in der Schöpfung, nur Verwandlung.

„Das Leben siegt“ ist eine Sammlung von kurzen Texten mit philosophischem Inhalt (sozusagen die Kernaussagen meiner Lebensphilosophie), aber nicht abstrakt intellektuell und abgehoben, sondern sehr konkret und einfach formuliert, und in einem aufbauenden, ermutigenden Tenor, in der Art von Emerson, Thoreau, Mulford und Trine.
Die Texte sind einzeln und unabhängig voneinander lesbar, haben aber auch einen Bezug zueinander und ergänzen sich gegenseitig, wie die Kapitel eines Buches, sie ergeben insgesamt ein zusammenhängendes philosophisches Lebensbild, auch im Sinne einer praktischen Orientierungshilfe.
Es geht darin zum Beispiel um Leben und Tod, Unsterblichkeit und Wiedergeburt, Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung, kosmische Ordnung und geistige Gesetze, Evolution und Ästhetik, psychologische und philosophische Grundfragen des Lebens und dergleichen.
Zwischen die einzelnen Texte sind Bilder eingeschoben, Naturaufnahmen von Pflanzen, Tieren, Landschaften und Gegenständen, die einen symbolischen oder konkreten Bezug zum jeweiligen Thema des Textes haben sollen.
Einige Texte sind bereits fertig, einige liegen als Konzept vor, von einigen existiert bislang nur der Titel.
Zum Beispiel:
Das Leben siegt / Alles ist Gott, Gott ist alles / Der Sinn deines Lebens bist du selbst / Haben, Tun und Sein / Am Anfang war die Ordnung / Nur wer sich selbst liebt, kann auch andere lieben / Hinter allem Wechsel ruht ein Ewiges / Du lebst nur einmal - und zwar für immer / Tue dir selbst zuliebe anderen etwas Gutes / Selig sind die Liebevollen / Das heilige Rätsel der Schönheit / Metamorphosen, oder: Kein Tod ist in der Schöpfung, nur Verwandlung / Wirf deine Fesseln ab und fliege...

Das Leben siegt (Kurzbeschreibung)

  Pflanze in einer Mauer
An den unwirtlichsten Stellen, auch unter tödlichen Bedingungen, findet das Leben seinen Platz. Im Kühlwasser von Atomreaktoren leben Bakterien ebenso wie in kochendheißen Wasser. In Jahrmillionen alten Salzstöcken hat man lebende Mikropilze gefunden, und in den Weiten des Weltraum hat man organische Materie entdeckt. Das Leben nutzt jede Gelegenheit sich zu entfalten, egal wie, egal wo.
Das Leben entsteht - jedenfalls soweit wir es beobachten, bzw. zurückverfolgen können - nur aus dem Lebendigen: omne vivum ex vivo. Nirgendwo gibt es bislang einen Hinweis dafür (außer in der Phantasie einiger Naturwissenschaftler), dass etwas Lebendiges aus Unbelebtem entstanden sein könnte. Diese Tatsache bringt uns letzten Endes zu der logisch zwangsläufigen Schlussfolgerung, dass der Kosmos insgesamt lebendig ist, dass es überall nur das Leben gibt - wenn auch in unterschiedlichen Graden - nirgendwo aber den Tod.
 

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Gott ist alles, alles ist Gott

Sonne hinter einem Blatt Seit Urzeiten haben die Menschen sich vorgestellt, dass sie selbst und die Welt um sie herum von einem (oder auch mehreren) übermenschlichen, höheren Wesen erschaffen wurde. Die Vertreter der alten indischen Philosophie und Religion waren davon überzeugt, dass alles, was existiert, Teil eines einzigen höchsten Wesens sei, das sich in unzähligen verschiedenen Erscheinungsformen zum Ausdruck bringt. Alles ist in Gott, alles ist aus Gott, alles ist Gott. Den meisten Menschen war diese Auffassung aber zu abstrakt, und so erfanden sie ein ganzes Panoptikum unterschiedlichster Götter, die zum großen Teil Spiegelbilder der eigenen inneren Triebe waren.
Westliche Wissenschaftler hingegen haben vor einiger Zeit beschlossen, dass es keine höheren Wesen gibt, sondern dass alles zufällig von selbst entstanden ist. Trotzdem haben auch die Menschen im Westen noch eine gewisse - wenn auch recht konfuse und ziemlich kindliche - Gottesvorstellung.
Wenn man sich aber ernsthaft mit der Frage beschäftigt, ob es einen Gott gibt, und wenn ja, wie er (oder sie oder es) beschaffen ist, kommt man, dem Wege der Logik folgend, zwangsläufig zu jener uralten indischen Vorstellung zurück.
In Heynes “Deutschem Wörterbuch” ist Gott definiert als das höchste Wesen. Aus dieser Definition ergeben sich eine Reihe von logisch notwendigen Folgerungen. Vor allem: das höchste Wesen kann nur eines sein - den Superlativ gibt es nur im Singular.
Das höchste Wesen kann auch kein anderes über sich haben, denn dann wäre es nicht mehr das Höchste. Daraus ergibt sich: das höchste Wesen muss unendlich sein. Denn wenn es irgendwo ein Ende hätte, müsste es von etwas anderem umschlossen sein, und dieses Etwas wäre dann größer, und dann wäre - siehe oben - das höchste Wesen nicht mehr das Höchste.
Es kann also nichts außerhalb des höchsten Wesens geben, nicht einmal ein Nichts - denn Nichts ist definiert als etwas, das nicht existiert, und somit kann es nie und nirgendwo vorhanden sein. Wenn es vorhanden wäre, dann wäre es automatisch etwas und nicht mehr nichts. Das höchste Wesen muss also, weil es nichts gibt, was über ihm oder außer ihm sein könnte, zwangsläufig unendlich sein.
Wenn es unendlich ist, muss es auch allgegenwärtig sein, denn wenn es irgendwo einen Ort gäbe, wo es nicht ist, wäre es ja nicht unendlich. Weil es unendlich ist, muss das höchste Wesen auch ewig sein, denn so, wie es kein Ende hat, hat es auch keinen Anfang. Anfang und Ende sind Grenzen. Und das Unendliche muss natürlich unbegrenzt sein, denn sonst wäre es ja endlich.
Ewig, allumfassend, allgegenwärtig - das sind mit Recht die klassischen Attribute Gottes. Wobei klar ist, dass es sich dabei sicher nicht um einen alten Mann mit weißem Bart handelt, auch nicht um irgendeine andere, menschenähnliche Gestalt.
Gestalt oder Form entsteht durch Grenzen - nur das Begrenzte hat Gestalt. Das Grenzenlose, Unendliche aber kann keine Gestalt haben, auch wenn es alle Gestalten umfasst. Der “persönliche” Gott, der Gott, der Gestalt annimmt, ist also auch nur ein Aspekt des höchsten Wesens, nicht aber das höchste Wesen selbst.
Gott als das höchste Wesen kann auch nicht von der Schöpfung getrennt und ihr gewissermaßen gegenübergestellt werden - denn dann müssten dieser Gott und seine Schöpfung wiederum in etwas Größerem enthalten sein - und er wäre automatisch nicht mehr das höchste Wesen.
Die hier vorgetragene Argumentation lässt sich auch noch von einem anderen Ausgangspunkt aus führen, der mehr naturphilosophisch ist, als religiös.
Wir können davon ausgehen, dass im Kosmos - worauf schon der Name hinweist - Ordnung herrscht. Die Atome sind geordnete Gebilde, und auch ihre Beziehung zueinander, wie sie sich im periodischen System der Elemente zeigt, unterliegt einer klar erkennbaren Ordnung.
Auch das Sonnensystem ist ein geordnetes Gebilde, in dem die Planeten sich gesetzmäßig und berechenbar bewegen, den mathematischen Prinzipien folgend, die von Newton, Kepler und anderen entdeckt wurden. Ihre Entfernungen zur Sonne entsprechen einer mathematischen Reihe, und im Verhältnis ihrer Umlaufzeiten und Abstände findet sich immer wieder jene Proportion wieder, die wir als “Goldenen Schnitt” bezeichnen.
Wenn irgendwo Ordnung herrscht - das sagt uns sowohl die Logik, wie auch die Erfahrung - dann gibt es dahinter ein ordnendes Prinzip, das sie erzeugt hat. “Ordnung entsteht aus Ordnung”, sagte der Physiker und Nobelpreisträger Erwin Schrödinger. Der leider nicht durch diese Erkenntnis berühmt wurde, sondern durch seine etwas schräge Erfindung einer Katze, die gleichzeitig lebendig und tot ist.
Das ordnende Prinzip muss aber selbst geordnet sein, denn sonst könnte es keine Ordnung schaffen, und erfordert so selbst wieder ein höheres ordnendes Prinzip, dem es seine Ordnung verdankt. Dieses verlangt wieder ein höheres ordnendes Prinzip, und dieses auch wieder ein weiteres, und immer so weiter, bis man schließlich an ein höchstes ordnendes Prinzip kommt, das nicht mehr geordnet zu werden braucht, weil es pure Ordnung ist. Und als höchstes ordnendes Prinzip muss es auch wieder - siehe oben - unendlich sein, und darum auch ewig und allgegenwärtig.
Wenn es aber ein unendliches, ewiges, allgegenwärtiges Prinzip gibt, das aus purer Ordnung besteht, dann heißt das: alles ist geordnet. Es gibt keine Unordnung, kein Chaos im Kosmos, nur Ordnung. Was wir als Chaos bezeichnen, ist also entweder eine komplexe Form von Ordnung, die wir noch nicht verstanden haben, oder nur eine Fluktuation beim Übergang von einem Ordnungszustand in einen anderen. Wenn ich zum Beispiel an Stelle des alten Hauses ein neues bauen will, muss ich zuerst das alte abreißen. Das ist ein chaotischer Zerstörungsprozess, der aber bewusst herbeigeführt wird, und ebenfalls Teil eines konstruktiven Ordnungsprozesses ist.
Dieses höchste Ordnungsprinzip ist identisch mit dem, was wir als höchstes Wesen oder Gott bezeichnen. Und das wiederum bedeutet: alles, was auch immer irgendwie irgendwo existiert, ist in Gott, alles ist aus Gott, alles ist göttlich und ein geordneter Teil der göttlichen Ordnung. Elementarteilchen und Atome, Bakterien, Pflanzen Tiere und Menschen, Planeten, Sonnen und Galaxien und vieles andere mehr, was sich jenseits der Materie tummelt.
Alles ist göttlich, und damit ist Göttlichkeit kein Privileg mehr, sondern eine Selbstverständlichkeit, eine ganz normale und gewöhnliche Eigenschaft von allem, was existiert.
Auch der Teufel - wenn es ihn denn gibt - ist ein Aspekt, eine Äußerung, eine Ausdrucksform des Göttlichen.
Gut und böse, hell und dunkel, klug und dumm, gesund und krank - alles Attribute Gottes. Der griechische Philosoph Heraklit erkannte dementsprechend schon vor zweieinhalb tausend Jahren: “Gott ist Tag und Nacht, Winter und Sommer, Krieg und Friede, Überfluss und Hunger.” Und gut zweihundert Jahre vor ihm verkündete der Prophet Jesaja: “Ich bin der Herr und keiner mehr! Der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis; der ich Frieden gebe und schaffe das Übel. Ich bin der Herr, der solches alles tut. Ich bin der Erste und ich bin der Letzte, und außer mir ist kein Gott.”
Jeder Mensch, egal ob groß oder klein, dick oder dünn, klug oder dumm, schön oder häss lich, reich oder arm - ist ein Aspekt des Göttlichen, das sich in diesem Menschen in dieser ganz besonderen Art und Weise zum Ausdruck bringt. Und weil jede Erscheinungsform des Lebens göttlich ist, hat sie das göttliche Recht, so zu sein, wie sie ist, und sich in ihrer ganz eigenen Eigenart zu entfalten.
Jeder Mensch ist in Ordnung so wie er ist und hat ein Recht auf Selbstentfaltung in seinem individuellen Sein.
Jeder Mensch ist ein einzigartiges Individuum, das für sich allein besteht, wie eine Insel im Ozean. Aber wie alle Inseln unter Wasser durch den Meeresboden miteinander verbunden sind, so sind auch alle Menschen unterschwellig miteinander verbunden und Teil eines größeren Ganzen, in dem jeder seinen Sinn und seine Aufgabe hat. Und nicht nur wir Menschen sind auf diese Weise miteinander verbunden, sondern alle Lebewesen, alles was irgendwo, irgendwie existiert.
Dies ist keine philosophische Spekulation, oder ein beliebiges intellektuelles Konzept, sondern ein eindeutiger Sachverhalt, der sich zwangsläufig und notwendig aus der logischen Überlegung ergibt. Wir kommen, auch wenn er uns nicht gefallen sollte, an ihm nicht vorbei. Was bedeutet das nun aber konkret für uns in ethischer und moralischer Hinsicht?
Zuerst einmal heißt das: Jedes Lebewesen - egal ob Bakterie, Pflanze, Tier oder Mensch verdient, als eine Ausdrucksform des Göttlichen, Respekt und hat die gleichen grundlegenden Rechte - vor allem das Recht auf Selbstverwirklichung, auf freie Entfaltung seiner angeborenen Wesenszüge, seiner Individualität. Selbstverwirklichung ist in diesem Sinne Gottesverwirklichung, und ein Lebewesen daran zu hindern ist die einzige wirkliche Sünde.
Zweitens heißt das, weil sich das Göttliche in uns und durch uns äußert, dass wir selbst die Verantwortung übernehmen müssen für die Gestaltung dieses Planeten ebenso wie für unsere eigene Gestaltung. Dass wir selbst verantwortlich sind für alles, was wir tun und was mit uns geschieht. Wir sind zu hundert Prozent selbst verantwortlich für unser Glück und Leid, für Krankheit und Gesundheit, für Leben und Tod. Wir können tun, was wir wollen, aber alles, was wir tun hat Folgen, und für diese Folgen sind wir verantwortlich.
Wenn wir ein anderes Lebewesen, das ja auch ein Aspekt des Göttlichen ist und göttliche Rechte besitzt, wie zum Beispiel das Recht zu leben, sich zu entfalten, sein eigener Herr zu sein, wenn wir ein solches Wesen verletzen, oder bestehlen, oder versklaven und ausbeuten, dann schulden wir ihm etwas. Und wenn es Wiedergutmachung verlangt, müssen wir sie leisten. In diesem oder einem anderen Leben - denn da wir unsterbliche Wesen sind, reicht unsere Verantwortung auch über den Tod hinaus.
Das Gesetz des Ausgleichs, das Gesetz des Karma, ist kompliziert und schwer zu durchschauen, aber es ist unerbittlich. Die einfachste Lösung, und der beste Weg es zu entschärfen liegt darin, jener Anweisung von Jesus zu folgen, die da sagt: “Was du willst, dass ein anderer dir tue, das tue du ihm auch.” Wenn wir uns daran halten, wird alles, was das Karma zu uns zurückschickt, uns gut tun, anstatt uns zu verletzen.
Wir haben die Möglichkeit, in Frieden zu leben - mit uns selbst, mit anderen Menschen, mit der Umwelt.
Wir haben die Möglichkeit, uns selbst zu verwirklichen und glücklich zu sein, ohne andere zu belästigen oder ihnen zu schaden.
Wir haben die Wahl. Auch wenn - weil wir göttlich sind - alles was wir tun, göttlich ist, so ist doch nicht alles angenehm oder nützlich. Es ist wichtig genau hinzuschauen und zu prüfen, was etwas kostet, heute und in Zukunft, und was es uns Wert ist, und ob beides übereinstimmt.
Schulden abzuzahlen, und vor allem solche, die bis weit in die Zukunft reichen, vielleicht sogar in künftige Inkarnationen, ist mühsam und lästig. Es lohnt sich also vorher zu prüfen, ob man sie sich aufladen sollte.
Und das, was wirklich zählt, was uns den Weg öffnet zu Glück und Zufriedenheit, nämlich Selbstverwirklichung, lässt sich erreichen, ohne dass wir dafür karmische Schulden machen müssen. “Die eigne Pflicht zu tun ist besser stets als fremde Pflicht”, heißt es in der Bhagavadgita. “Bleibst du dem eignen Wesen treu, so bleibst du frei von aller Schuld.”
Und nicht nur das. Wenn wir dem eigenen Wesen gemäß leben, uns selbst verwirklichen, uns selbst achten, respektieren und lieben, dann gewinnen wir auch eine innere Sicherheit und Stärke, die einen unsichtbaren Schutzschild bilden gegen Angriffe aller Art - und die beste Basis für Erfolg in jeder Hinsicht.
Wenn wir uns das erarbeitet haben, kann uns nichts mehr aufhalten. Wir können uns dann alles leisten was wir wollen - Spielzeuge, Macht, Reichtum, was auch immer - aber wir sind nicht davon abhängig. Wir können genau so gut ohne dies alles auskommen. Wir können alles benutzen ohne uns daran festzuklammern, wir sind nicht Diener des Mammons oder der Macht, sondern ihre Beherrscher.
Wir können unser Leben genießen und uns an jedem Tag freuen, auch wenn es nicht ununterbrochen Geschenke regnet.
Wir können unsere wahren Wünsche von den falschen unterscheiden und unsere eigenen Träume von denen, die aus fremden Quellen stammen.
Wir brauchen kein Theater mehr zu spielen, um auf uns aufmerksam zu machen, aber wir können den ganzen Tag tanzen, wenn uns danach ist.
Wir brauchen niemand mehr zu erniedrigen, um uns größer zu fühlen, niemand mehr zu verunsichern, um uns sicherer zu fühlen.
Wir können tun was wir wollen, und lassen, was wir nicht wollen. Wir sind frei - vielleicht nicht von allem, aber für alles.
Auf dieser Basis können wir dann die geistigen Gesetze nicht nur mit Erfolg anwenden, sondern auch ohne uns in karmische Schulden zu verstricken. Wir können Suggestionen und Bejahungen aussprechen, ohne unerwünschte Nebenwirkungen befürchten zu müssen.
Wir können uns der Intuition und Inspiration öffnen, ohne uns schädlichen Einflüssen auszusetzen. Wir können unsere PSI-Fähigkeiten entwickeln und mit Menschen, Tieren, Pflanzen und Mikroben auf geistigem Wege kommunizieren. Sie werden sich uns öffnen, weil wir sie nicht mehr beherrschen wollen.
Wir werden im Stande sein, unsere Kinder ohne Gewalt und Stress zu erziehen, weil wir ihre Autonomie respektieren und sie lassen können, wie sie sind. Anstatt sie zu einem Spiegelbild unserer unerfüllten Wünsche und Träume zu deformieren.
Wir werden frei sein - und diese Freiheit wird keine Beziehungslosigkeit sein und damit Leere, keine Flucht vor Verpflichtungen, kein verzweifelter Sprung ins Ungewisse - nichts, was Ängste weckt, die uns dann wieder in den nächstbesten Käfig treiben. Sie wird das Tor sein zu einer Fülle von Möglichkeiten, auf allen Ebenen der Welt: zu bleiben oder zu gehen, festzuhalten oder loszulassen, zu lachen oder zu weinen, zu reden oder zu schweigen, erfolgreich zu sein oder zu scheitern.
Und wir werden wissen, dass wir in diesem Spiel nur gewinnen können, auch wenn wir verlieren, dass wir immer voranschreiten, auch wenn wir rückwärts gehen, dass jede Erfahrung, auch wenn sie schmerzlich ist, uns reicher macht, und dass wir nie aufhören zu wachsen - in Ewigkeit nicht.

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Der Sinn deines Lebens bist du selbst

Mohn im Getreidefeld Was ist der Sinn unseres Lebens? Macht? Reichtum? Erfolg? Spirituelles Wachstum? Oder einfach: überleben, so bequem wie möglich und mit möglichst geringem Einsatz?
Sicher ist: wir werden eines Tages sterben, und dann verlassen wir diese Welt ebenso nackt, wie wir sie betreten haben. Und was immer wir im Laufe unseres Lebens an materiellen Gütern angehäuft haben - Gold und Juwelen, Häuser und Ländereien, Macht und Einfluss - müssen wir alles hier zurücklassen. Wir können uns den Sarg mit Tausenddollarscheinen tapezieren lassen, aber nicht einen Cent mitnehmen.
Kann das also der Sinn sein? Etwas ansammeln, das man mit Sicherheit zurücklassen muss? Wohl kaum.
Und: so bequem und aufwandslos wie möglich überleben? Das endet in der Konsequenz auf der Ebene der Parasiten, die im Innern anderer Lebewesen zu Hause sind und nur noch aus Verdauungs- und Fortpflanzungsorganen bestehen. Diese Lebensweise ist rückschrittlich, dem Lauf der Evolution entgegengesetzt, ein Abstieg. Wollen wir das? Nein. Nicht wirklich. Allenfalls, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt.
Bleibt also: spirituelles Wachstum. Aber spirituelles Wachstum ist kein Beruf, keine Tätigkeit an sich, sondern eine Begleiterscheinung - es ist die geradezu zwangsläufige Folge eines sinnvollen Lebens, erfüllt von sinnvoller Tätigkeit, in allen drei Bereichen des Seins, dem Physischen, dem Psychischen und dem Spirituellen.
Was aber ist: sinnvolles Leben, sinnvolle Tätigkeit?
Eine Antwort auf diese Frage aus der menschlichen Gesellschaft herauszudestillieren ist mühsam, denn da gibt es so viele vergangene und gegenwärtige Varianten von “Lebenssinn”, die in Religionen, Philosophien, Ideologien, und neuerdings vor allem in der Werbung erfunden und propagiert wurden - vorwiegend zum Zweck der Macht- und Profitmaximierung herrschender Interessengruppen. Stellen wir diese Frage also lieber der Natur, die, nicht von Zweckpropaganda verdummt und verdüstert, oft klarere (und wahrere) Antworten zu bieten hat.
Wenn wir die Natur betrachten, so zeigt sich nun, dass offenbar alle Lebewesen primär den Sinn ihres Lebens darin sehen, sich selbst möglichst optimal zum Ausdruck zu bringen, zu entfalten, zu verwirklichen. Der Selbsterhaltungstrieb, als stärkster Trieb, ist immer auch ein Selbstgestaltungstrieb. Und kein Lebewesen - außer dem Menschen - möchte etwas anderes sein, als es ist. Der Regenwurm möchte keine Rose sein, die Rose keine Eiche, die Eiche kein Adler, und der Adler kein Regenwurm. Und umgekehrt und in jeder nur denkbaren Richtung und Kombination gilt dies ebenso.
Werde was du bist, entfalte, was in dir angelegt ist, wachse, blühe und verwirkliche dich, deiner Art gemäß, so gut du kannst - das ist das erste und wichtigste Ziel. Danach kommt das zweite: spiele deine Rolle im Rahmen des Ganzen, von dem du ein Teil bist, erfülle deine Aufgabe, leiste deinen Beitrag zu jenem gewaltigen Werk, das wir Evolution nennen oder Schöpfung, oder einfach Leben auf der Erde. Denn unser Planet in seiner heutigen Form ist ein Produkt der Lebewesen - das Ergebnis ihrer Milliardenjahre langen Arbeit. Und das Zweite ergibt sich in der Natur zwanglos aus dem Ersten: indem sie sich selbst optimal zum Ausdruck bringen und verwirklichen, erfüllen alle Lebewesen gleichzeitig auch optimal ihre Aufgabe im Rahmen des Ganzen.
Nun: was für die Natur gilt - sollte das nicht auch für den Menschen gelten? Ich glaube: ja. “Ziel unseres Lebens ist Selbstentwicklung”, schrieb der Dichter Oscar Wilde. “Das eigene Wesen völlig zur Entfaltung zu bringen, das ist unsere Bestimmung.” Und da kann ich ihm nur zustimmen. Auch beim Menschen besteht meiner Meinung nach der primäre Sinn seines Lebens darin, sich selbst möglichst optimal zum Ausdruck zu bringen, zu entfalten, zu verwirklichen - in seiner ganz eigenen und einzigartigen Individualität. Und da sind die Unterschiede von Mensch zu Mensch oft ganz gewaltig.
Wenn ich sage: die Hundsrose ist eine Hundsrose, oder: die Traubeneiche ist eine Traubeneiche, oder: der Steinadler ist ein Steinadler, oder: der Gemeine Regenwurm ist ein Gemeiner Regenwurm, dann ist mit dem Namen der betreffenden Art, der Spezies, auch das einzelne Individuum ausreichend definiert. Aber wenn ich von einem Menschen sage, er ist ein Mensch, dann sagt das sehr wenig über seine Individualität. Die Spannweite reicht von Franz von Assisi bis Adolf Hitler, und noch weiter.
Jeder Mensch ist sozusagen eine eigene Spezies. Der eine ist vielleicht eine Rose, ein anderer eine Eiche, oder ein Adler, ein Regenwurm, ein Elefant, eine Schlange, ein Wolf, ein Haifisch, eine Giraffe, was auch immer. Und alle haben das Recht, so zu sein, wie sie sind, das zu sein was sie sind, und in ihrer ganz eigenen Art zu wachsen und sich zu entwickeln.
Und wenn wir das erreicht haben, können wir uns unserer zweiten Aufgabe widmen, nämlich mitzuarbeiten, wie alle anderen Lebewesen auch, und unser Rolle zu spielen im Rahmen des größeren Ganzen, von dem wir ein Teil sind: dem Leben auf der Erde, der Schöpfung, der Evolution, denn die ist noch lange nicht zu Ende und wir wirken daran mit.
Aber dies ist der zweite Schritt, und der sollte nach dem ersten kommen, und der heißt: Selbstverwirklichung.
Der Psychologe Abraham Maslow hat die Selbstverwirklichung in seiner “Bedürfnispyramide” sehr weit oben angesiedelt, kurz vorm Abheben in die Transzendenz. Ich glaube aber, sie gehört unten hin, an die Basis, zu den Grundbedürfnissen.
Unter Selbstverwirklichung verstehe ich allerdings nicht, einen Wochenendworkshop lang Mandalas zu malen oder Tonfiguren zu kneten oder sich in Meditation versunken den Hintern plattzusitzen. Selbstverwirklichung heißt schlicht und einfach, das zu sein, was man ist - und zwar 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr, ein Leben lang. Und noch eins und noch eins und noch eins, in dieser Welt und in abertausend anderen, bis in alle Ewigkeit.
Selbstverwirklichung ist kein egoistischer, rücksichtsloser Gewaltakt zu Lasten anderer Menschen - im Gegenteil. Wenn man sich Menschen anschaut, die intolerant, unkooperativ und gewalttätig sind, findet man gewöhnlich, dass sie sich nicht selbstverwirklichen konnten, dass sie fremdbestimmt waren und in eine Richtung gezwungen wurden, die ihrem wahren Wesen nicht entspricht. Man findet bei ihnen meist auch einen Mangel an Selbstvertrauen und Eigenliebe. Aber nur wer sich selbst liebt, kann auch andere lieben, nur wer sich selbst vertraut, kann auch anderen vertrauen, nur wer sich selbst verwirklichen konnte, kann auch anderen die Freiheit lassen, sich selbst zu verwirklichen. Das ist die wichtigste Grundlage für jede konstruktive und kooperative Form menschlichen Zusammenlebens, im Kleinen wie im Großen.
Leider wurden und werden viele - vielleicht die meisten - von uns schon als Kinder daran gehindert, sich frei und individuell zu entfalten. Sie wurden verzogen und verbogen, nach den Vorstellungen der Eltern und sogenannter Erziehungsexperten in das Folterbett einer vom Zeitgeist definierten Normalität gezwängt, und so zum Teil ganz erheblich von sich selbst und von ihrem eigenen wahren Wesen weggezwungen.
Der Psychologe John Bradshaw schreibt: “Die Geschichte des Niederganges einer jeden Frau und eines jeden Mannes handelt davon, dass ein wunderbares, wertvolles, besonderes und kostbares Kind sein Gefühl für das ‚Ich bin wer ich bin‘ verloren hat.”
Aber wir können immer und jederzeit, wenn uns derartiges geschehen ist, zu uns selbst zurückkehren, und zu unserem wahren Wesen - auch wenn dabei vielleicht eine Menge mentaler und emotionaler Müll entsorgt werden muss - wir müssen es nur wollen. Voraussetzung ist, dass wir aufhören andere zu beschuldigen und für unser Schicksal und unsere Lebensumstände verantwortlich zu machen und stattdessen selbst die Verantwortung dafür übernehmen. Und dann geht es in vier Schritten vorwärts.
Der erste Schritt ist Selbstannahme: “Ich darf so sein, wie ich bin.”
Der zweite Schritt ist Selbstbestätigung: “Ich kann so sein, wie ich bin.”
Der dritte Schritt ist Selbstbestimmung: “Ich will so sein, wie ich bin.”
Der vierte Schritt ist Selbstverwirklichung: “Ich bin so, wie ich bin.”
Und das betrifft alle drei Ebene des Seins: die körperliche, die seelisch-emotionale und die geistige.
Wir sollten uns immer wieder fragen: bin ich authentisch? Bin ich selbstverwirklicht? Lebe ich meinem wahren Wesen gemäß? Wenn wir diese Fragen ganz ehrlich mit ja beantworten können, ist es in Ordnung - egal, was wir tun, wie wir aussehen, und was immer andere dazu sagen. Es geht nicht darum, etwas besonderes zu sein oder zu tun - es geht nur darum, zu sein, was man ist und zu tun, was dem eigenen Wesen entspricht.
Wenn ich dick bin, weil es meinem Wesen entspricht, ist das in Ordnung. Wenn ich dick bin, weil ich haufenweise Süssigkeiten in mich hineinstopfe, aus Frust darüber, dass ich nicht sein darf, wie ich bin oder tun kann, was ich möchte - dann bin ich auf dem falschen Weg. Und dann bin ich aufgefordert, etwas zu ändern. In meinem eigensten Interesse. Denn ich nehme mir ein großes Stück Lebensqualität, wenn ich selbstentfremdet, fern von meinem wahren Wesen lebe und arbeite. Geld - und sei es auch noch so viel - ist dafür kein Ersatz.
In der Vergangenheit haben Vertreter der konfessionellen Religionen immer wieder gepredigt, man müsse sich selbst verleugnen und kasteien, das Fleisch kreuzigen, den Körper verachten und misshandeln, und dergleichen Unsinn mehr.
Aber der Körper ist ebenso ein Aspekt des Göttlichen, wie die Seele. Und ihn verachten und misshandeln heißt, einen Ausdruck des Göttlichen zu verachten und zu misshandeln. Er ist ein wertvolles Werkzeug, ohne das wir unsere Aufgaben hier auf der Erde nicht erfüllen könnten. Und optimale Selbstverwirklichung bedeutet immer auch optimale Behandlung unseres Körpers: durch vollwertige Ernährung, ausreichende Bewegung und emotionale Zuwendung.
Und was die sogenannte Selbstlosigkeit angeht, so sagte schon Rudolf Steiner ganz klar und deutlich: “Nicht selbstlos soll der Mensch werden, das kann er nicht. Und wer sagt, er kann es, der lügt. Aber die Selbstsucht kann sich bis zu den höchsten Weltinteressen aufschwingen. Ich kann die Angelegenheiten der ganzen Menschheit besorgen, weil sie mich ebenso wie meine eigenen interessieren, weil sie zu meinen eigenen geworden sind.”
Wir können niemals selbstlos werden, wir können aber in ein größeres, höheres Selbst hineinwachsen, indem wir die Grenzen unseres jetzigen Selbst erweitern und ausdehnen. Aber dazu müssen wir sie erst einmal erreicht, müssen wir unser jetziges Selbst erst ganz erfüllt und vollendet haben. Dann vollzieht sich dieser weitere Schritt in ein höheres Sein ganz von selbst.
Vorläufig aber sind wir gefordert hier und jetzt zu sein, was wir sind und zu tun, was sich daraus ergibt, und uns mit uns selbst und mit unserer Umwelt in Einklang zu bringen.
Wenn wir mit uns selbst und mit unserer Umwelt im Einklang sind, dann stellt sich automatisch ein Gefühl von Glück und Zufriedenheit ein. Das lässt sich weder erwerben, noch erarbeiten, es ist einfach die notwendige Folge einer authentischen, selbstverwirklichten Lebensweise. Wenn ich andererseits unglücklich und unzufrieden bin, ist das ein deutliches Indiz dafür, dass ich eben nicht bei mir selbst bin und meinem Wesen gemäß lebe. Und dann, wie gesagt, bin ich aufgefordert, etwas zu ändern. Denn jeder Augenblick, den ich nicht selbstverwirklicht lebe, ist Zeitverschwendung. Und unsere Zeit hier ist begrenzt.
Auch wenn wir unsterblich sind, was unsere geistige Essenz angeht, so werden wir doch in dieser einmaligen Mischung von Körper, Seele und Geist, und unter diesen besonderen Umständen in dieser besonderen Zeitqualität nie wieder in Erscheinung treten. Und deshalb sollten wir unsere Zeit nutzen und so viele authentische Erfahrungen machen, wie möglich. Denn dadurch bereichern wir unser Selbst und wachsen allmählich über uns selbst hinaus, zu etwas Größerem, das dann wieder den Ausgangspunkt bildet für eine weitere Reise, in einem etwas anderen Selbst, das uns noch höher hinauf führt. Zu immer mehr Intelligenz und Bewusstheit, zu immer mehr Emotionalität und Liebesfähigkeit, zu immer mehr Schönheit und immer mehr Autonomie. Denn das ist die Richtung der Evolution. Das sind die Eigenschaften, die ganz deutlich erkennbar im Verlauf der Entwicklung des Lebens auf diesem Planeten immer mehr zugenommen haben. Im Gegensatz zu den darwinistischen “Tugenden” wie Aggressivität, Rücksichtslosigkeit oder Fortpflanzungsmaximierung.
Aber dieser Weg zu Höherem beginnt ganz einfach hier und jetzt: indem wir uns selbst verwirklichen, indem wir sind, was wir sind, indem wir unserem wahren Wesen gemäß leben. Als Rose, als Eiche, als Adler, als Regenwurm, als Mensch in unzähligen Varianten, als was auch immer. Und nichts ist besser und nichts ist schlechter als etwas anderes, denn alles ist göttlich.
Alles ist ein Teil, ein Aspekt, eine Ausdrucksform des einen ewigen, unendlichen, allumfassenden und allgegenwärtigen göttlichen Wesens. Und jeder dieser Aspekte des Göttlichen, ob menschlich oder unmenschlich, in welcher Gestalt er oder sie oder es auch immer erscheinen mag, hat ein elementares Recht auf Selbstverwirklichung in seinem wahren Wesen, auf Selbstenfaltung, Selbstentwicklung und schließlich auch auf Selbstüberschreitung. Und ihn daran zu hindern, aus welchem Grund auch immer, ist eine Sünde, die Wiedergutmachung verlangt - hier und heute, oder irgendwann anderswo. Aber unvermeidbar und unausweichlich, im Namen der göttlichen Gerechtigkeit, wenn das Opfer sie fordert.

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Hinter allem Wechsel ruht ein Ewiges

Herbstliche Blätter Und wieder ist es Herbst geworden - die Zeit der Reife, die Zeit der Fülle. Aber auch: die Zeit des Sterbens, die Zeit des Abschieds. Der Dichter Nikolaus Lenau (1802 - 1850) nahm dies als Gleichnis. In einem seiner Gedichte heißt es:
“Von dannen geht die stille Reise,
die Zeit der Liebe ist verklungen,
die Vögel haben ausgesungen
und dürre Blätter sinken leise.
In des Waldes leisem Rauschen
ist mir, als hör ich Kunde wehen,
dass alles Sterben und Vergehen
nur heimlich still vergnügtes Tauschen...”
Die Natur gibt uns ein Beispiel, wie man ohne Klage Abschied nimmt. Der Baum wirft seine Blätter, wirft das, was ihn am Leben erhielt, ab - ohne zu zögern, ohne zu lamentieren über diesen doch ganz erheblichen Verlust an materiellem Besitz. Er zieht sich, ganz selbstverständlich und freiwillig, in eine Erstarrung zurück, die dem oberflächlichen Blick wie Tod erscheinen mag. Aber dies ist nur die scheinbare Leblosigkeit eines Schlafenden, der Kräfte sammelt für ein neues Erwachen im Frühling.
In der Zwischenzeit sind Milliarden von Lebewesen, Würmer, Asseln, Bakterien und Pilze, damit beschäftigt, die abgeworfenen Blätter, indem sie sie fressen und verdauen, ihn ihre Grundbestandteile zu zerlegen: in Atome und Moleküle, die dem Baum dann später als Nahrung wieder zur Verfügung stehen. Recycling auf einem 100% Niveau - etwas, wovon der Mensch, der trotz all seiner Intelligenz im eigenen Müll zu ersticken droht, noch sehr weit entfernt ist.
Hier wird eines der Grundprinzipien des physischen Lebens deutlich: der ständige Wechsel von Werden und Vergehen. Auf einem Planeten wie der Erde, wo die für die Bildung von Körpern zur Verfügung stehende Materie begrenzt ist, muss alles, was aufgebaut wurde, auch wieder abgebaut werden, wenn Neues entstehen soll. Der sogenannte Tod, im Sinne eines Ablegens oder Opferns der physischen Körperlichkeit ist eine der wesentlichsten Voraus­setzungen für die Evolution, für die Entfaltung des Lebens in immer neuen Formen.
Vor Jahren las ich in einem Gedicht die Zeile: “Blühen ist ein tödliches Geschäft...” Ich habe den Rest des Gedichtes vergessen, ich weiß auch nicht mehr, wer der Autor ist - aber diese eine Zeile hat sich mir unauslöschlich eingeprägt: “Blühen ist ein tödliches Geschäft...”
Ich war sehr beeindruckt von dieser Formulierung, mehr noch - ich war bestürzt, beunruhigt. Blühen war für mich bis dahin Schönheit, Lebendigkeit, Vollendung. Dass nach der Vollendung der Tod kommt, daran hatte ich nicht gedacht. Blühen, sich entfalten, sich vollenden in Schönheit und Lebendigkeit - das war für mich bis dahin ein erstrebenswertes Ziel auch des menschlichen Lebens. Aber jetzt kamen Zweifel: ist dieses Ziel noch erstrebenswert, wenn es mit dem Tod bezahlt wird? Ist der Tod nicht ein zu hoher Preis für ein so kurzes Vergnügen? Ist es da nicht besser, nicht zu blühen? Denn dieser Satz bedeutet ja auch: was nicht blüht, lebt länger.
Ich habe lange gebraucht, um zu erkennen, dass dieser Satz: “Blühen ist ein tödliches Geschäft...” falsch ist, und um zu verstehen, warum er falsch ist. Ich musste erst begreifen, dass der Tod ein Teil des Lebens ist, dass das, was wir Tod nennen, keine Vernichtung des Lebens bedeutet, sondern nur eine Verwandlung, einen Kostümwechsel. Das Lebens, das ewig ist, legt sein altes Kleid ab und zieht ein Neues an. Blühen ist kein tödliches Geschäft, auch wenn es bei oberflächlicher Betrachtung so erscheint, sondern eines, das der Lebendigkeit dient, das sie nicht einschränkt, sondern fördert.
Zugegeben: die Schönheit der Blüte ist nicht von Dauer. Kurze Zeit nach ihrer Entfaltung welkt sie bereits dahin und stirbt. Aber dieser “Tod” ist, wie bei der Raupe, kein Ende, keine Vernichtung, sondern nur eine Verwandlung: die Blüte wandelt sich zur Frucht.
Die Frucht aber ist auch nicht von Dauer, sie opfert sich ebenfalls, indem sie sich vollendet und dann zur Nahrung wird, oder den Weg der Fäulnis und Verwesung geht, so oder so: den Weg des Todes.
Aber auch hier ist der Tod nur Verwandlung und Häutung, ein Ablegen des Unwesentlichen, der äußeren Hülle, und eine Konzentration in das Wesentliche, Unvergängliche hinein: in eine Vielzahl von Samen. Im Samen ist die geistige Essenz der Pflanze aufgehoben, oder - zeitgemäßer ausgedrückt - ihr informatives Konzept. Und aus jedem Samen kann eine neue Pflanze werden, auch noch nach Jahrzehnten, vielleicht sogar nach Jahrhunderten.
Dies ist keine Verminderung, sondern eine Vervielfältigung des Lebensprinzips. Aus einem Getreidekorn kann, unter optimalen Bedingungen, ein Büschel wachsen, das zwanzig Ähren trägt, von denen jede wiederum bis zu fünfzig Körner enthalten kann - eine Rendite von 90000%. Keine menschliche Investitionsform könnte etwas Vergleichbares leisten - es sei denn ein Lotteriegewinn. Aber wem ist der schon vergönnt? Die Natur hingegen produziert solche “Lotteriegewinne” am laufenden Band.
Voraussetzung aber dieser Vervielfältigung des Lebens ist der Tod, das Opfer der sterblichen Hülle, des materiellen Körpers. “Die Natur hat den Tod erfunden, damit sie mehr Leben habe”, schrieb Johann Wolfgang Goethe. Die Zellen unseres Körpers können sich etwa fünfzigmal teilen, dann sterben sie ab. Dies ist nicht eine zwangsläufige Konsequenz ihrer Struktur, sondern es erscheint eher so, als ob ihnen eine begrenzte Lebensdauer einprogrammiert wäre. Die begrenzte Teilungsfähigkeit ist eine Eigenschaft der gesunden, in den Organverband integrierten Zelle - die Krebszelle kennt diese Grenze nicht. Sie hat sich aus dem Zellverband ausgeklinkt und verfolgt, ohne Rücksicht auf den Organismus, nur noch ihre egoistischen Absicht der eigenen Vermehrung. Dabei kann sie sich anscheinend unbegrenzt teilen und so für sich das Prinzip der “Unsterblichkeit im Fleische” verwirklichen. Dies allerdings hat für den Organismus, von dem sie ein Teil ist, tödliche Folgen - und damit stirbt auch die Krebszelle. Ihr Streben nach “Unsterblichkeit im Fleische”, ihr egoistischen Ausscheren aus dem Gesamtverband des Organismus, hat ihr den Tod gebracht.
Für den “Organismus Erde”, für den Gesamtverband aller Lebewesen auf unserem Planeten, hätte es ebenso tödliche Folgen, wenn ein Lebewesen sich aus der Gesamtheit lösen und für sich die “Unsterblichkeit im Fleische” verwirklichen würde. Sie ist weder sinnvoll, noch wünschenswert - sie würde die Fülle und Vielfalt des Lebens, wie wir sie kennen, nur verhindern. Wenn es sie gäbe, hätte die Evolution bereits vor mehr als drei Milliarden Jahren, nach der Entstehung unsterblicher Bakterien, ihr Ende gefunden.
Die Materie, aus der Lebewesen ihre Körper aufbauen, vorwiegend Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff und Stickstoff, ist auf diesem Planeten nur in begrenzter Menge vorhanden. Wenn immer wieder neue Körper gestaltet und entwickelt werden sollen, müssen die alten Körper immer wieder zerlegt und aufgearbeitet werden. Und die evolutive Intelligenz hat eine ganze Fülle von Lebewesen entwickelt, die mit dieser Aufgabe befasst sind.
Voraussetzung dafür, dass dieser Prozess funktioniert, ist aber die Bereitschaft der einzelnen Lebewesen, beziehungsweise ihrer geistigen Essenz, sich nach einer bestimmten Zeit von dem materiellen Körper, in dem sie sich verwirklicht haben, zu trennen - was man dann gemeinhin “sterben” nennt. Diese Trennung, dieser sogenannte “Tod” ist eine Voraussetzung der Vielfalt des Lebendigen, ein Förderer des Lebens, nicht sein Beschränker oder gar Vernichter.
Die Ebene der physischen Körper, die Ebene der materiellen Bindungs- und Lösungsprozesse, ist die Ebene ständigen Wechsels und Wandels. Wer hier Ewigkeit oder Unsterblichkeit sucht, befindet sich auf dem Irrweg. Wer hier Sicherheit und Geborgenheit sucht, wird keine finden - höchstens Zeitgenossen, die ihm oder ihr, für teures Geld, die Illusion von Pseudosicherheit in Form von Hausrats-, Unfall-, Kranken-, Lebens- und sonstigen Versicherungen verkaufen. Aber die Lebensversicherung schützt ebensowenig vor dem Tod, wie die Unfallversicherung vor Unfall, oder die Diebstahlsversicherung vor Einbruch - sie mildern allen­falls die Folgen, den materiellen Verlust.
Die Natur kennt dergleichen nicht. Sie hat keine Angst, materielle Dinge aufzugeben, zu opfern, zu verlieren. Denn sie weiß ja, dass nichts wirklich verloren geht, weder Materie, noch Energie, noch Information.
Im Frühling atmet die Natur sich aus, in die Prachtentfaltung des Sommers hinein, bildet, aus Atomen und Molekülen, die schönsten Formen, Figuren und Muster, wahrhaftige Kunstwerke in Vollendung, ebenso faszinierend wie vergänglich. Denn im Herbst und Winter zieht die Natur sich, einatmend, wieder in sich selbst zurück und zerstört, beiläufig, den größten Teil ihrer sommerlichen Kunst­werke. Aber nur, um sie, nach einer kurzen Atempause, im folgenden Frühjahr, schöner, größer und vielfältiger, neu zu erschaffen. Nichts geht verloren - weder Materie, noch Energie, noch Infor­mation.
Jede Jahreszeit hat ihre eigene Farbpalette - sanft und noch ein wenig blass: der Frühling. Kraftvoll und mit klaren Farben der Sommer, fast farblos und vorwiegend in düstrem Braun und Grau der Winter. Die farbigste Jahreszeit aber ist der Herbst. Als wolle sie es noch einmal allen zeigen, verabschiedet sich die Natur mit einer Orgie von warmen Farben in den Winterschlaf, mit allen Variationen von Gelb und Rot und Orange, durchsetzt von unvergessenem Grün und Blau und Violett - ein Abgesang sozusagen mit visuellen Pauken und Trompeten.
Und so vollzieht sich das Spiel des Lebens im ewigen Rhythmus, im Wechsel von Sommer und Winter, Fülle und Mangel, Ebbe und Flut, Tag und Nacht, Schlafen und Wachen, im Einatmen und Ausatmen, im Öffnen und Schließen des Herzmuskels, im Geben und Nehmen. Und nur so ist physisches Leben möglich: im Wechsel des Gegensätzlichen, im Austausch von Materie, Energie und Information. Wer nur einatmen will, wird mit der gleichen Sicherheit ersticken, wie jemand der nur ausatmet. Wer die Gestalt die er (oder sie) sich gebildet hat, um jeden Preis erhalten, wer sich nicht ändern, sich nicht wandeln will, erstarrt. Und diese Erstarrung ist der wahrhafte Tod - der leider auch, und sogar recht häufig, bei lebendigem Leibe eintritt. Denn Leben heißt: sich wandeln.
Auch hier hat - wie so oft - die Werbung unrecht, indem sie eine junge Frau herumlaufen und singen lässt: “Ich will so bleiben wie ich bin!”, worauf eine Flüsterstimme antwortet: “Du darfst!” Denn das darf sie, kann sie, wie wir alle, mit Sicherheit nicht: so bleiben, wie sie ist. Vieles ist dem Menschen möglich, aber eines ist ihm ganz gewiss unmöglich: sich nicht zu ändern. Nicht einmal, wenn er aus Granit wäre, wäre es ihm möglich, sich nicht zu ändern.
Die Berge waren einst Täler und sie werden wieder zu Tälern werden. Die Täler waren einst Berge und sie werden wieder zu Bergen werden. Auf den Gipfeln des Himalaja findet man versteinerte Muscheln, die zeigen, dass die Bergeshöhen vor Zeiten Meerestiefen waren.
Die Natur ist nicht zimperlich, was die Umwandlung der materiellen Formen und Gestalten angeht. Stürme, Unwetter, Vulkanausbrüche, Erdbeben, dörrende Sonnenhitze, klirrende Winterkälte, die un­zählige Körper vernichten, das allgemein übliche Fressen und Gefressen werden - dies alles veranlasst den empfindsamen Menschen dazu, die Natur als “grausam” zu bezeichnen. Aber auch dieser Aspekt der Natur, der Gewaltsame, Zerstörende, Vernichtende, ist ein wesentlicher und notwendiger Bestandteil der Schöpfung. Auch dieser Aspekt des Lebens ist göttlich.
In der indischen Mythologie hat sich diese Erkenntnis noch erhalten: in den drei Hauptgöttern Vishnu (dem Erbauer), Brahma (dem Lenker und Erhalter) und Shiva (dem Zerstörer) - jenen drei Grundaspekten, in die das eine, allumfassende, göttliche Prinzip sich aufteilte, um die Schöpfung zu gestalten. Und die Inder sind sich - oder waren es zumindest - darüber im Klaren, dass diese Dreiheit nichts mit moralischen Wertungen, mit Begriffen wie “gut” oder “böse” zu tun hat.
Im Zusammenhang eines größeren Ganzen, wie es beispielsweise der Körper eines Menschen ist, oder der lebendige Planet Erde, der ja auch als ein Organismus betrachtet werden kann, oder der Kosmos als Ganzes, der, weil er Leben hervorbringt, logischerweise selbst lebendig sein muss (zumindest gibt es bislang nirgendwo ein Beispiel dafür, dass etwas Lebendiges aus etwas Totem entstehen könnte) - ist das destruktive Prinzip ebenso wichtig wie das Konstruktive.
Das aufbauende Vishnu-Prinzip ist an sich ebensowenig “gut”, wie das zerstörende Shiva-Prinzip “böse” ist. Man kann sich dies leicht am Beispiel einer Krebszelle klar machen, in der sich das aufbauende Prinzip verselbständigt und aus dem Gesamtzusammenhang des Organismus gelöst hat. Sie pflegen wir als “böse” oder “bösartig” zu bezeichnen, während das Immunsystem mit seinen Fresszellen, das Krebszellen oder körperfremde Eindringlinge vernichtet und hier das zerstörende Prinzip verkörpert, als “gut” und nützlich angesehen wird.
Aufbau und Zerstörung sind gleichwertige Bestandteile der Schöpfung - aber sie müssen in einem koordinierten Prozess aufeinander abgestimmt sein und ins Gleichgewicht gebracht werden. Dass die Natur dies so mühelos leistet, setzt ein koordinierendes Prinzip, eine lenkende Intelligenz voraus - die Inder symbolisierten sie in Brahma, dem Lenker und Erhalter.
Die moderne westliche Wissenschaft hat - leider - noch keinen Namen für dieses Prinzip gefunden - ja sie hat es noch nicht einmal richtig zur Kenntnis genommen. Aber die Tatsache, dass die Natur auf diesem Planeten es geschafft hat, über viele Millionen Jahre des Werdens und Vergehens, der sommerlichen Fülle und des winterlichen Mangels, die Aktivitäten aller Lebensformen, von den Bakterien bis zu den Walfischen, zu einem stabilen, in seiner Gesamtbilanz aus­geglichenen System zu koordinieren - das allein ist Beweis genug für das Vorhandensein einer höheren, schöpferischen Intelligenz. Denn kein unintelligentes, zufallsgesteuertes Prinzip könnte derartiges leisten.
Noch einmal: Die Ebene der physischen Körper, die Ebene der materiellen Bindungs- und Lösungsprozesse, ist die Ebene ständigen Wechsels und Wandels. Wer hier Ewigkeit oder Unsterblichkeit sucht, befindet sich auf dem Irrweg. Wer hier Sicherheit und Geborgenheit sucht, wird keine finden.
Jenseits dieser Ebene des “Stoffwechsels”, der Unbeständigkeit und des Wandels aber befindet sich eine Ebene der Beständigkeit, der Unsterblichkeit - die Ebene der geistigen Urbilder oder Entelechien, die Heimat unserer Seelen. “Wohl ist alles in der Natur Wechsel”, schrieb Goethe, “aber hinter dem Wechsel ruht ein Ewiges.”
Unsterblichkeitsbewusstsein ist also eine Frage der Anschauung: wer sich mit dem physischen Körper identifiziert, identifiziert sich mit Zerfall, Alter und Tod. Wer sich aber mit seiner geistigen Essenz identifiziert und den Körper als eine Art Instrument begreift, dessen sie sich zur Ausführung gewisser Vorhaben bedient, wird der Unsterblichkeit teilhaftig und erkennt all seine Tode als bloße Häutungen, als Metamorphosen auf dem Weg zur Vollkommenheit.
Abgesehen vom Menschen scheinen sich alle Lebewesen mit dem Prinzip des Todes, dem Ablegen des physischen Körpers, nach entsprechender Zeit, nach Tagen, Monaten oder Jahren, einverstanden erklärt zu haben.
Die Blume beispielsweise stirbt, wenn sie sich vollendet hat, mit einer Selbstverständlichkeit und Grazie, die den meisten Menschen am Ende ihres Lebens nicht gelingt. Viele Menschen trennen sich nur sehr unwillig und mühsam von ihrer “sterblichen Hülle”.
Warum? Weil sie nicht um die Unsterblichkeit ihrer geistigen Essenz wissen? Vermutlich. Vielleicht aber auch deshalb, weil sie ihr inneres Potential, weil sie ihr wahres Wesen nicht zur Entfaltung gebracht, weil sie nicht “geblüht” haben. Wer sich selbst verwirklicht und seine Lebensaufgabe erfüllt hat, kann leichten Herzens Abschied nehmen - und tut dies gewöhnlich auch, wie die Erfahrung zeigt.
“Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden”, heißt es im 90. Psalm. Lasst uns aber auch nicht vergessen, dass wir leben müssen - und dafür brauchen wir in der Tat alle Klugheit, derer wir habhaft werden können. Und die wir nicht zuletzt daraus gewinnen, dass wir dem Tod ins Auge schauen und auch der Konsequenz, die sich aus ihm ergibt: dass wir nämlich allen materiellen Besitz eines Tages aufgeben und in der irdischen Welt zurücklassen müssen. Und dass wir ins Jenseits, in die geistige Welt, nur unsere geistigen Errungenschaften mitnehmen können.
Unser gegenwärtiges Leben ist das Leben vor dem Tod, und es nicht zu leben, wäre Verschwendung. Und wenn es einen Sinn hat, wovon wir auf Grund von Erfahrung und Überlegung ausgehen können, dann wohl in erster Linie, wie bei allen anderen Lebewesen auch, den, sich selbst zu verwirklichen und sein wahres Wesen zur Entfaltung zu bringen. Und damit erfüllen wir gleichzeitig auch unsere Aufgabe in jenem größeren Ganzen, von dem wir ein Teil sind.
Was aber den Tod angeht, so lehren uns ebenfalls Erfahrung und Überlegung, dass er nicht das Ende des Lebens bedeutet, sondern nur den Übergang in eine andere Ebene der Realität, einen Kostümwechsel, eine Verwandlung. Der Tod gibt uns, immer wieder, die Chance uns zu häuten, um in neuer Gestalt zu erscheinen, um immer weiter wachsen zu können. Der Tod ist, mindestens in gleichem Maße wie das Leben, ein Garant für unser spirituelles Wachstum. Kein Grund, den Tod zu fürchten. Kein Grund, das Leben zu fürchten. Kein Grund, nicht mit Freuden zu leben. Kein Grund, nicht mit Freuden zu sterben.
Denn wir sind ewig und unsterblich und nichts kann uns schaden. Und wenn wir, durch die Tür des Todes schreitend, dieses Leben verlassen, treten wir gleichzeitig in ein anderes ein. Und danach in ein neues, und immer so weiter - bis ans Ende der Unendlichkeit.

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Haben, Tun und Sein

Kastanienknospe In der alten indischen Philosophie werden Prakriti, der kosmischen Urnatur, drei Gunas oder Eigenschaften zugesprochen: Tamas, das träge, finstere und stoffliche Prinzip, Rajas, das Kraftprinzip, und Sattwa, das lichte, geistige und gütige Prinzip. Wir finden diese Einteilung wieder in der Dreiheit von Körper, Seele und Geist, oder von Materie, Energie und Information, oder von Haben, Tun und Sein.
Auf diesen drei Ebenen spielt sich auch das Leben des Menschen ab, und auf allen drei Ebenen hat er Bedürfnisse, die immer auf der jeweiligen Ebene befriedigt werden müssen, zu der sie gehören. Wer physisch am verhungern ist, braucht ein Stück Brot und keine frommen Sprüche. Wer emotional unterernährt ist, dem hilft Brot nicht weiter, und Schokolade schon gar nicht - hier hilft nur Begegnung mit und Beziehung zu anderen Menschen. Und wem geistige Nahrung fehlt, der wird weder durch Schmausen noch durch Schmusen satt - sondern nur durch meditatives Eintauchen in die Welten des Geistes.
Wir sind in unserer heutigen Zeit eindeutig und einseitig allzu sehr auf die stofflichen Dinge, auf materiellen Besitz fixiert. “Hast du was, bist du was”, heißt die Parole - und wie man dazu kommt, möglichst viel zu haben, das spielt keine Rolle. Auch Diebstahl ist zulässig - der erlaubte sowieso, und der unerlaubte auch, wenn man sich nicht dabei erwischen lässt.
Nirgendwo in der Natur spielt Besitz auch nur annähernd eine derartige Rolle, wie in der menschlichen Gesellschaft. Kein Vogel käme auf die Idee, mehrere Nester zu bauen und sie an andere Vögel zu vermieten. Kein Hirsch vererbt sein Revier an seine Nachkommen. Kein Eichhörnchen sammelt mehr Samen, als es für den Winter braucht, um den Überschuss an andere Eichhörnchen zu verkaufen.
In der Natur ist der Austausch das Wesentliche: Geben und Nehmen - in einem ausgewogenen Verhältnis. Nur so bleibt das Lebendige lebendig. Horten und Festhalten führt zu Erstarrung und Tod. Unser Herz nimmt Blut auf und gibt es umgehend wieder ab - wenn es in bürgerlichem Besitzdenken das Blut horten und nicht wieder hergeben würde, dann wären wir im Handumdrehen tot.
Eine Gemeinschaft von Lebewesen, egal ob biologisches oder soziales Biotop, in dem das Gleichgewicht von Geben und Nehmen über ein bestimmtes Maß hinaus gestört ist, geht zu Grunde - zahlreiche Beispiele aus der Geschichte ebenso wie aus der Naturbeobachtung zeigen das deutlich.
Auch in der spirituellen Szene sind viele Menschen heute von der Hast-du-was-bist-du-was-Mentalität infiziert. Sie wollen spirituelle Erfahrungen HABEN, sie wollen spirituelle Erfolge HABEN, sie wollen spirituelle Erleuchtungen HABEN, oder sie wollen ganz einfach materielle Dinge oder Beziehungen HABEN, und benutzen ihre geistigen Kräfte dazu, derartiges, mit mehr oder weniger Hokuspokus, an sich heranzuziehen und herbeizuzaubern.
Natürlich kann man sich Dinge bestellen oder Ereignisse, beim Universum oder wo auch immer. Und oft bekommt man auch, was man bestellt hat, oder auch anderes, was man - zumindest bewusst - nicht unbedingt bestellt hat. Und manchmal ist man auch zufrieden, zumindest einige Zeit, mit dem, was man da bekommen hat.
Aber früher oder später verliert man meist die Lust an dem, was man hat und braucht dann etwas Neues, und danach wieder etwas Neues, undsoweiter. Und das Universum schickt, wenn auch vielleicht nicht gleich, aber doch sicher nach einiger Zeit, eine Rechnung. Denn eines der zentralen Gesetze im Kosmos lautet: von Nichts kommt nichts. Oder, anders gesagt: man muss für alles in irgendeiner Form bezahlen.
Irgendwann (oder auch nicht) begreift man dann, dass es nicht so sehr darauf ankommt, was man HAT, sondern darauf, was man IST. Aber was man ist, oder sein möchte, kann man nicht bestellen, nicht kaufen oder stehlen, nicht besitzen. Also wie soll das gehen?
Eine einfache Möglichkeit ist diese: frage (zur Abwechslung einmal) nicht, was das Universum für dich tun kann, sondern was Du für das Universum tun kannst.
Klingt das absurd für Dich? Oder anmaßend? Denkst Du vielleicht: ich bin so klein, und das Universum ist so groß - was kann ich denn schon für das Universum tun? Mach Dir darüber keine Sorgen, glaub mir: Du kannst eine ganze Menge für das Universum tun. Du bist ein Teil des Universums. Alles, was Du denkst, fühlst oder tust, beeinflusst das Universum.
Jeder liebevolle Gedanke, jedes liebevolle Gefühl, jede liebevolle Handlung macht das Universum liebevoller.
Andererseits vermehrt jeder hasserfüllte Gedanke, jedes hasserfüllte Gefühl, jede hasserfüllte Tat den Hass im Universum.
Und wo wollen wir lieber leben? In einer hasserfüllten oder einer liebevollen Welt? Wir haben die Wahl. Denn wir selbst erschaffen und gestalten die Welt, in der wir leben: durch unsere Gedanken, durch unsere Gefühle, durch unserer Taten.
Alle anderen Wesen, Steine und Blumen, Pflanzen und Tiere, Menschen und Engel sind ebenfalls ein Teil des Universums. Und alles, was Du ihnen antust, tust Du dem Universum an - und damit auch dir selbst. Denn im Universum ist alles mit allem verbunden, alles wirkt aufeinander ein.
Wenn Du einem Tier, einer Pflanze, einem Menschen, einem Engel - wem oder was auch immer - hilfst, und diesem Wesen etwas Gutes tust, tust Du dem Universum etwas Gutes. Und wenn Du es tust, wirst Du feststellen, dass sich etwas in Dir verändert - in deinen Gefühlen, in Deinem Sein.
Du wirst feststellen, dass Du dich besser fühlst, dass Du glücklich bist. Obwohl Du nicht mehr HAST, BIST Du mehr. Dein Sein hat sich verändert, verbessert, bereichert. Du musstest nichts bestellen, nichts kaufen, nichts dafür bezahlen, und trotzdem hast Du etwas ganz wichtiges gewonnen. Durch rechtes Tun bereicherst du dein Sein - über alle materiellen Besitztümer hinaus, und gewinnst damit ein Ausmaß an Glück und Zufriedenheit, dass diese dir niemals verschaffen können.
So einfach ist das. Zu einfach, denkst Du? Probier es aus und schau, was passiert. Du wirst Dich wundern.
Immer wieder versucht man uns einzureden, dass wir etwas besonders tun oder sein müssten, damit wir geschätzt und geachtet werden, und dass wir um so wertvoller und wichtiger sind, je mehr wir in dieser Hinsicht vorzuweisen haben. Aber das ist ein Irrglaube. Du bist was Du bist, und das ist völlig in Ordnung.
Du brauchst nicht mehr zu sein - auch wenn Dir jemand dieses Gefühl vermittelt hat oder vermittelt. Aber Du solltest auch nicht weniger sein. Du solltest all deine Möglichkeiten und Fähigkeiten zum Ausdruck bringen - auch wenn Dir jemand das Gefühl vermittelt hat oder immer noch vermittelt, dass sich das nicht gehört.
Die Philosophia Perennis sagt: Jedes Ding und jedes Lebewesen ist ein Aspekt des einen göttlichen Prinzips. Es ist die spezielle Art und Weise in der es sich gerade jetzt zum Ausdruck bringt: als Du, als Ich, als Regenwurm, als Elefant, als Kilimandscharo, als Salatgurke, Sonne oder Schwarzes Loch. Und wer sind wir, dass wir das Recht hätten jenes unendliche, allgegenwärtige göttliche Eine dafür zu kritisieren dass es sich gerade in dieser und nicht in anderer Weise manifestiert?
Jedes Lebewesen bereichert die Welt - durch seine bloße Anwesenheit: weil es das ist, was es ist. Die Blume bereichert die Welt indem sie blüht, indem sie sich entfaltet zu dem, was sie ist. Sie bereichert die Welt nicht durch ihre Leistung, sondern durch ihr Sein.
“Sein” allerdings ist nie ein passiver, sondern ein aktiver Prozess. Es gibt in der Natur nichts Passives, alles ist Aktivität, alles ist in irgendeiner Weise in Bewegung, auch das, was gerade ruht. Der Gegenbegriff zu “aktiv” (was eine nach außen gerichtete Bewegung bezeichnet) ist nicht “passiv”, sondern “reaktiv” (womit eine nach innen gerichtete Bewegung gemeint ist).
Sein ist immer auch Tun, Handeln, aktive oder reaktive Bewegung. Sein als Tun bedingt Erfolge ebenso wie Misserfolge, es schließt auch Irrtum und Fehler ein. Und auch das ist völlig in Ordnung so.
Auch durch deine Fehler bereicherst Du die Welt - indem Du demonstrierst, was man besser nicht tun sollte.
Da alles ein Teil des Einen, und somit auch alles mit allem verbunden ist, wirkt jede Handlung auf das Universum ein. Jeder Fehler, den Du machst, ist eine Warnung für das Universum, es so nicht zu machen. Und jedes Lebewesen im Kosmos kann aus deinen Fehlern lernen - wenn es das will. Die Mehrheit zieht es allerdings wohl vor, seine Fehler selbst zu machen.
Anderseits steht auch jede Lösung, die Du für ein Problem gefunden hast, nunmehr dem ganzen Universum zur Verfügung. Also denk daran: du bist wichtig! Das Universum braucht dich! Es braucht deine ganz besonderen Erfahrungen, die nur du, als ein ganz besonderes, einmaliges Individuum machen kannst.
Egal, was du tust und wie du es tust, wichtig ist nur, dass du es auf deine eigene Weise tust. Dass du deine eigenen Erfahrungen machst, deinem eigenen Wesen entsprechend handelst, und nicht irgendwen nachahmst oder dich zu irgendwelchen Dingen überreden lässt, die dir nicht entsprechen, die du nicht wirklich willst. Was immer du tust: bleib deinem eigenen Wesen treu. In der “Bhagavadgita” heißt es: “Bleibst du dem eignen Wesen treu, so bleibst du frei von aller Schuld.”
Aber vergiss dabei eines nicht: weil alles mit allem verbunden ist, kommt auch alles, was Du tust, zu Dir zurück. Das heißt: was Du einem anderen antust, das tust Du Dir selber an. Wenn Du anderen wehtust, tust Du Dir selber weh. Wenn Du anderen wohltust, tust Du Dir selber wohl. Daher die “Goldene Regel”, wie sie Jesus formulierte: “Was Du willst, dass ein anderer Dir tue, das tue Du ihm auch.”
Du musst nicht mehr zum Ausdruck bringen, als Dich selbst, als das, was Du bist. Das aber so vollständig und umfassend wie möglich. Das ist dein Recht - und deine Pflicht. Also sei Dir deiner Einmaligkeit bewusst - und lebe sie. Und beteilige dich damit an jenem großen Abenteuer, dass wir Evolution nennen, oder Schöpfung, oder einfach: Leben auf der Erde.
Die Erde, so wie wir sie heute vorfinden, ist ein Produkt der Lebewesen, das Ergebnis ihrer Milliarden Jahre langen Arbeit. Auch der Kosmos, mit seinen Planeten, Sonnen und Galaxien ist ein Produkt von Lebewesen.
Ein zentrales kosmisches Gesetz lautet: von Nichts kommt nichts. Alles was existiert, ist notwendigerweise gezeugt oder geschaffen. Gezeugt, geschaffen und gestaltet von Lebewesen, übermenschlichen ebenso wie untermenschlichen, denn nur das Lebendige kann zeugen, schaffen und gestalten.
Dass wir als Menschen auf diesem Planeten leben können, verdanken wir anderen Lebewesen. Die Photosynthese der Pflanzen liefert uns den Sauerstoff, den wir zum Atmen brauchen, und die biologischen Makromoleküle, aus denen sie ihre Körper aufgebaut haben, versorgen uns mit Nahrung.
Die Pflanzen wiederum bedürfen der Arbeit von Pilzen und Bakterien, die ihnen Nährstoffe aufbereiten, und die Pilze und Bakterien wiederum profitieren von den Ausscheidungen der Pflanzen und Tiere und von ihren toten Körpern, aus deren Zersetzung sie Nahrung und Energie beziehen.
So greift eines ins andere, indem jedes Lebewesen gibt und nimmt, und am Ende muss unterm Strich die Bilanz ausgeglichen sein. In einem Universum, das unendlich und damit in sich geschlossen ist, wo nichts hinzukommt und nichts verschwindet, kann nur soviel genommen werden, wie gegeben wird, und nur soviel gegeben werden, wie genommen wird.
Wir sollten das, was unsere menschlichen Belange angeht, nicht vergessen. Insbesondere in der heutigen Gesellschaft, wo man sich immer noch der Illusion hingibt, man könne etwas für nichts bekommen, und wo man darauf aus ist, möglich viel zu nehmen, und möglichst wenig dafür zu geben. Aber wer nehmen will, muss auch geben. Und wer gibt, darf auch nicht vergessen zu nehmen. Sonst funktioniert der irdische, der kosmische, der universelle Kreislauf nicht.
Es ist vorübergehend kein Problem, wenn jemand mehr gibt als nimmt oder mehr nimmt als gibt - aber am Ende muss das Verhältnis ausgeglichen sein. Denn, wie gesagt: in diesem in sich geschlossenen Kosmos geht nichts verloren und kommt nichts hinzu. Aber alles bewegt sich, und alles verwandelt sich. Aus Bakterien werden Pflanzen, aus Pflanzen Tiere und Menschen und aus Menschen - wer weiß was? Wem dienen wir zur Nahrung?
Alle Lebewesen leisten ihren Beitrag zum großen Abenteuer des Lebens, und wir sind auch dazu verpflichtete, egal ob wir das nun wollen oder nicht. Aber diese Aufgabe ist im Grunde genommen weder schwierig noch übermäßig anstrengend - denn es wird nichts weiter von uns verlangt, als zu sein, was wir sind. Uns selbst zu verwirklichen. Unser wahres Wesen möglichst umfassend zum Ausdruck zu bringen. Und eben damit unseren Beitrag zur Schöpfung, zur Evolution, zur Geschichte der Menschheit zu leisten. Und wenn wir das tun, wenn wir wirklich das tun, was unserem Wesen entspricht, werden wir feststellen, das dies kein Arbeit oder Mühsal ist, sondern ein Vergnügen.

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Nur wer sich selbst liebt, kann auch andere lieben

Skulptur im Wasser Wir sind auf Unachtsamkeit dressiert. Wir haben es uns angewöhnt, nicht richtig hinzusehen, hinzuhören, hinzuriechen, hinzuschmecken, hinzufühlen.
Wir rennen blind und taub durch eine Welt der Fülle und erleben sie so - ganz zu Unrecht und unnötigerweise - als eine Welt des Mangels. Und wir brauchen, weil dieser Prozess der Desensibilisierung ein sich selbst verstärkender Prozess ist, und wir mit zunehmender Blindheit immer blinder und mit zunehmender Taubheit immer tauber und mit zunehmender Empfindungslosigkeit immer empfindungsloser werden, immer stärkere Reize, immer massivere Stimulation.
Und damit beschleunigen wir diesen Prozess noch weiter, bis wir schließlich als lebendig Tote, als Zombies der Ablenkungsindustrien, süchtig nach immer größeren Sensationen immer mehr Horror und Greuel und Grausamkeit verlangen, damit sich überhaupt noch irgendetwas einem Gefühl vergleichbares in unserem Innern regt.
Auf diese Weise reduzieren wir unsere Lebendigkeit und unsere Lebens- und Erlebnisqualitäten auf einen winzigen Bruchteil ihres ursprünglichen Ausmaßes, ihrer eigentlichen Möglichkeiten.
Aber es ist - wie jeder, der es erlebt hat, gern zugeben wird - kein angenehmes Gefühl, tot zu sein, während man noch lebt, und daher sollten wir es, so rasch als möglich, beenden. Umkehr ist sinnvoll, Umkehr ist möglich - und dann ist, wie schon der Prediger in der Wüste es wusste, “das Himmelreich zum Greifen nahe”. Voraussetzung dafür ist, so der griechische Ausdruck an dieser Stelle im Evangelium, “metanoia”, was soviel heißt wie Umkehr oder Wandel im Denken - und, daraus folgend, auch Umkehr im Fühlen und Handeln.
In welche Richtung sollte dies gehen? Nun - sinnvollerweise erst einmal in die Entgegengesetzte - und dann wird man weitersehen. Welches aber ist die entgegengesetzte Richtung von Blindheit, Taubheit, Gefühllosigkeit, undsoweiter?
Ich möchte denken, es ist die der liebevollen Aufmerksamkeit.
Wenn wir allem, was uns begegnet, Menschen, Tieren, Pflanzen, Dingen und Ereignissen, alle Liebe und alle Aufmerksamkeit widmen, deren wir fähig sind - und das Maß dieser Liebe und Aufmerksamkeit wird mit zunehmender Übung immer größer - dann bekommt die Welt, vielleicht nicht mit einem Mal, aber ganz sicher mit der Zeit, ein anderes Gesicht. Und nicht nur das - sie klingt auch anders, riecht anders, schmeckt anders und fühlt sich anders an.
In dem Maße, wie wir uns darin üben, wächst unsere Sensibilität und Empfindungsfähigkeit, und damit wächst auch unsere Lebensqualität in ungeahntem Maße. Dies kann sich, wenn auch gewöhnlich nur für Augenblicke, zu einem Gefühl der Wonne, oder gar der Seligkeit steigern.
Das hört sich einfach an - fast zu einfach, mögen vielleicht die Zweifler sagen. Aber es ist in der Tat so einfach, und es wirkt mit unfehlbarer Sicherheit. Man muß es nur wollen, und ein wenig üben und nie mehr damit aufhören - das ist alles.
Das ist alles?
Ja: das ist alles.
Aber?
Aber gerade die einfachen Dinge haben oft irgendwo einen Haken.
Es ist vergleichsweise einfach, Blumen zu lieben. Sie sind schön, sie sind ehrlich, sie stellen keine Forderungen, außer vielleicht der, dass man sie gelegentlich ein wenig bewässert. Aber sie bedrohen uns nicht, sie stellen uns nicht in Frage, sie tun uns nicht weh.
Ich habe mich immer wieder von Blumen faszinieren lassen, habe sie in unzähligen Variationen fotografiert und hatte nie Probleme, ihnen liebevolle Aufmerksamkeit zu widmen. Allerdings habe ich sie klugerweise nicht gezähmt und eingetopft ins Haus genommen, sondern sie im Garten gelassen, wo sie für sich selbst verantwortlich sind und keine große Arbeit machen.
Es ist leicht, Blumen zu lieben, und Gurdjieff hat nicht umsonst empfohlen, wenn wir uns in der Liebe üben wollen, mit Blumen zu beginnen.
Bei den Insekten ist es schon etwas anderes. Die Schmetterlinge, fliegenden Blüten vergleichbar, kann man noch ohne Hintergedanken lieben. Bei den Fliegen habe ich schon die Neigung, zu unterscheiden zwischen denen, die schön und denen, die lästig sind. Bei den Wespen, obwohl ihre kühle Eleganz mich immer wieder begeistert, überwiegt das Misstrauen die Zuneigung - und erst recht bei ihren größeren Schwestern, den Hornissen.
Auch den Würmern, die meine Äpfel ruinieren, oder den Motten, die Löcher in meine Kaschmirpullover fressen, vermag ich keine echte Zuneigung entgegenzubringen. Und bei den Stechfliegen schließlich überwiegt ganz eindeutig der mörderische Schlagreflex jede Toleranz - von “liebevoller Aufmerksamkeit” ganz zu schweigen. Natürlich kann ich auf die Winzigkeit an Blut, die sie mir abzapfen wollen, mit Leichtigkeit verzichten - es ist wohl eher die Unverschämtheit, dass sie mich beißen, ohne vorher zu fragen, und dass sie mir Schmerz zufügen, die mich aggressiv macht.
Und auch bei den anderen Tieren hängt meine Zuneigung davon ab, ob sie mir nützen oder schaden, ob sie mich ärgern, oder mir Vergnügen bereiten. Immerhin habe ich mir inzwischen abgewöhnt, sie zu essen - und das könnte man natürlich als einen grundsätzlichen Sympathiebeweis betrachten.
Am schwierigsten wird die Angelegenheit, soweit es Menschen betrifft.
Sie nicht zu essen fällt vergleichsweise leicht. Sie nicht zu erschlagen, wenn sie uns beißen, ebenfalls. Aber es fällt doch schwer, sie zu lieben, wenn sie nicht liebenswert sind, wenn sie uns verletzen, wenn sie uns missachten, wenn sie uns durch ihr Verhalten jene Eigenschaften spiegeln, die wir an uns selbst ablehnen.
“Jeder Mensch kann uns als Spiegel dienen, in dem wir alle Fehler und Mängel erblicken, die in uns sind. Wir handeln jedoch meist wie ein Hund, der den Spiegel anbellt, weil er glaubt, dort nicht sich, sondern einen anderen Hund zu erblicken”, schrieb Tolstoi.
Aber wer liebt schon den Spiegel, wenn er uns so spiegelt, wie wir uns nicht sehen wollen? Jesus, der so vieles in wenigen klaren Worten auf den Punkt gebracht hat, sagte uns, wir sollen Gott lieben (von ganzem Herzen und von ganzer Seele), wir sollen unseren Nächsten lieben, und wir sollen uns selbst lieben. Und mit letzterem müssen wir den Anfang machen.
Gott zu lieben, in allen Aspekten zu lieben, bedeutet, auch Schmerz, Krankheit, Zerfall, Unglück, Gewalt und Tod zu lieben. Denn Gott ist: Alles in Allem. Und Gott lieben, bedeutet, alles, was ist, anzunehmen, wie es ist.
Ich kenne, ehrlich gesagt, keinen Menschen - mich selbst eingeschlossen - der dazu im Stande wäre. Aber ich kenne, andererseits, auch keinen Menschen - mich selbst eingeschlossen - der im Stande wäre, sich selbst voll und ganz anzunehmen, in allen seinen Aspekten.
Und vielleicht ist das der Schlüssel.
“Nur wer sich selbst liebt”, sagte (sinngemäß ins Neudeutsche übersetzt) Meister Eckehart, “der ist so gut drauf, dass er auch andere lieben kann.”
Und im Alten Testament, bei Jesus Sirach kann man lesen: “Wer sich selber nichts Gutes tut, was soll der anderen Gutes tun?”
Bevor wir andere lieben können, müssen wir erst einmal lernen, uns selbst zu lieben. Bevor wir uns selbst lieben können, müssen wir lernen, uns selbst (in all unseren Aspekten) anzunehmen. Bevor wir uns annehmen können, müssen wir erst einmal erkennen, wer oder was wir eigentlich sind.
Wir müssen unser “wahres Selbst” erkennen, jenes ursprüngliche Selbst, mit dem wir hier angekommen sind. Und um es erkennen zu können, müssen wir es erst einmal befreien von all dem Psychomüll, unter dem es begraben liegt: von den gesellschaftlichen Konventionen, von falscher Erziehung, Reaktionsmustern, Abwehrmechanismen, Vorurteilen, Illusionen und so weiter und so fort.
Selbstannahme ist keine Entscheidung, die man so einfach treffen könnte, es ist ein Prozess. Der auch die Auseinandersetzung mit den Eltern (bzw. ihren Bildern in uns) einschließt, der uns auf unsere Grundgefühle zurückführt, auf Angst, Schmerz, Trauer und Zorn.
Indem wir diese, meist lange verdrängten, Gefühle wieder zulassen, finden wir aber auch ihre Kehrseite wieder, finden neben der Angst die Geborgenheit, neben dem Schmerz die Lust, neben der Trauer die Freude, neben dem Zorn die Zuneigung. Und indem wir unsere Grundgefühle wiederfinden, finden wir auch unsere ursprüngliche Lebendigkeit wieder. Und damit wird uns liebevolle Aufmerksamkeit leicht.
Selbstannahme ist kein kurzer und schmerzloser Prozess - er ist schwierig, langwierig, abenteuerlich, vielleicht eine Lebensaufgabe. Aber - und das sage ich ausnahmsweise nicht aus theoretischer Überlegung, sondern aus praktischer Erfahrung - es lohnt sich. Und je früher man damit anfängt, desto besser.
Ein ganz brauchbarer und praktischer Einstig besteht darin, dass du, wann immer du dich in einem Spiegel betrachtest, dir in die Augen siehst, deinen Vornamen sagst und hinzufügst: “...du bist in Ordnung, so wie du bist.” Vielleicht fällt dir das schwer, weil eine Stimme in dir sagt, dass du nicht in Ordnung bist, weil du die Fenster noch nicht geputzt hast, oder zuwenig Geld verdienst, oder zu viele Süssigkeiten isst, oder was auch immer.
Mag sein, dass diese Stimme recht hat. Mag sein, dass in deinem Leben einiges nicht in Ordnung ist, oder dass mit deinen Handlungen einiges nicht in Ordnung ist. Aber das ändert nicht an der Tatsache, dass du im Kern deines Wesens in Ordnung BIST - so wie du bist.
Du bist eine Äusserung, ein Aspekt des göttlichen Wesens, das sich in dir als du zum Ausdruck bringt. Und je mehr du dir das klar machst, und dich davon selbst überzeugen kannst, auch indem du immer wieder diese Worte wiederholst “Ich bin in Ordnung, so wie ich bin”, desto leichter wirst du deine schlechten Angewohnheiten und alles, was nicht zu deinem wahren Wesen gehört, ablegen können.
Und je mehr du von deinen schlechten Angewohnheiten ablegst, desto leichter wird es dir fallen, dich selbst anzunehmen und zu lieben.
Und je mehr du dich liebst und annimmst, desto wohler wirst du dich fühlen, und dieses Wohlgefühl wird von dir ausstrahlen und sich in deiner Umgebung verbreiten.
Und damit tust du nicht nur dir selbst etwas Gutes, sondern auch allen anderen Menschen (und Tieren und Pflanzen), mit denen du zusammen bist.
Der Raum, der uns umgibt, ist nicht leer. Er ist erfüllt von einer unsichtbaren, feinstofflichen Substanz, die die alten Inder “Akasha” genannt haben. Durch seine Ausdehnung erschafft dieser “Raumstoff” den Kosmos, durch seine Bewegung alle Erscheinungsformen, von den Elementarteilchen, über Atome, Moleküle, Zellen und Organismen, bis hin zu Planeten, Sonnensystemen und Galaxien.
Durch diesen “Raumstoff” ist alles mit allem verbunden, in ihm prägt sich alles ab und bleibt alles erhalten: jeder Gedanke, jedes Gefühl, jede Handlung - von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Wenn wir uns meditativ nach innen wenden, können wir durch diesen “Raumstoff” reisen und den Prägungen der Vergangenheit begegnen, uns selbst in früheren Inkarnationen, in anderen Kostümen und Masken erleben.
Jeder unserer Gedanken, jedes Gefühl und jede Handlung prägt sich in diesem “Raumstoff” ein und verändert ihn, gestaltet den Kosmos und übt auf jedes andere Ding oder Wesen eine Wirkung aus.
Jeder liebevolle Gedanke, jedes liebevolle Gefühl, jede liebevolle Handlung macht den Kosmos liebevoller. Jeder hasserfüllte Gedanke, jedes hasserfüllte Gefühl, jede hasserfüllte Handlung macht den Kosmos hasserfüllter.
Beides ist göttlich - die Liebe ebenso wie der Hass.
Aber wir haben uns zu fragen: wollen wir lieber in einer liebevollen oder in einer hasserfüllten Welt leben? Und wenn wir in einer liebevollen Welt leben wollen, dann müssen wir etwas dafür tun: indem wir liebevoll denken, fühlen und handeln.
Und beginnen müssen wir damit bei uns selbst. Denn wir können der Welt nur begegnen, indem wir uns selbst zum Ausdruck bringen. Ich kann nur mit meiner eigenen Hand einen anderen Menschen streicheln - oder schlagen.
Und ich kann ein anders Wesen nur dann wirklich lieben, wen ich mich selbst liebe.
Wenn ich mich selbst nicht liebe, ist immer in mir und um mich herum ein liebloser Raum, und durch diese Leere kann sich keine Liebe von mir zu anderen übertragen.
Beginne also damit, dich selbst zu lieben. Sage dir immer wieder: “Ich nehme mich selbst an, ich bin in Ordnung so wie ich bin. Ich respektiere, liebe und anerkenne mich so wie ich bin.”
Du bist ein Aspekt des göttlichen Wesens, das sich in dir und durch das, was du bist, zum Ausdruck bringt. Mag sein, dass du Dinge tust, die nicht in Ordnung sind - du kannst dich jederzeit dafür entscheiden, sie nicht mehr zu tun.
Es gibt keine schlechten Eigenschaften, nur schlechte Angewohnheiten. Und die lassen sich immer ändern.
Wenn es dir gelingt, dich selbst zu lieben, wirst du auch bereit und willens sein, dir selbst Gutes zu tun - und dann verschwinden deine schlechten, schädlichen, selbstzerstörerischen Angewohnheiten ganz von selbst.
Vor Zeiten haben verwirrte Geister die Idee geboren, dass der Mensch von Natur aus schlecht und böse und dass er ein geborener Sünder sei.
Kein anderes Lebewesen auf diesem Planeten kommt auf die absurde Idee, sich selbst für schlecht oder böse oder sündhaft zu halten, oder sich gar dafür zu bestrafen. Es hat nichts anderes im Sinn, als sich selbst möglichst umfassend zum Ausdruck zu bringen, zu entfalten, zu wachsen, zu blühen und seine Aufgabe im Lebensspiel zu erfüllen.
Nehmt euch daran ein Beispiel.
Hört auf, euch schlecht zu machen, euch klein zu machen, hört auf, euch selbst zu verstümmeln, zu kränken und krank zu machen, hört auf, gegen euer wahres Wesen zu leben.
Fangt an, euch zu achten und zu lieben und in euren wahren Wesen zum Ausdruck zu bringen.
Fangt an zu leben, anstatt anderen beim Leben zuzuschauen.
Die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft stehen euch offen. Ihr seid die Erben der Unendlichkeit und der Ewigkeit. Also worauf wartet ihr noch? Hört auf zu kriechen und fangt an zu fliegen - so wie es eure Bestimmung ist.

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Metamorphosen -
oder: Kein Tod ist in der Schöpfung, nur Verwandlung.

Raupe auf einem Spiegel Der deutsche Philosoph und Dichter Johann Gottfried Herder (1744 - 1803) schrieb: “Unsere Seele muss sterben, sagst du, wenn der Körper stirbt? Hast du eine innere Kraft je sterben sehen? Nur das Äußere, Zusammengesetzte sahst du zerfallen. Was in mir lebt, mein Lebendigstes, mein Ewiges, kennt keinen Untergang. Kein Tod ist in der Schöpfung, nur Verwandlung. Wenn die Hülle beim Tode wegfällt, bleibt die Kraft, die schon vor dieser Hülle existierte.”
In der Physik gibt es den Satz von der Erhaltung der Energie, der besagt, dass Energie weder erzeugt noch vernichtet, sondern nur umgewandelt werden kann. Da Masse und Energie, wie die Formel E = mc² besagt, gleichgesetzt werden können, muss es also auch einen Satz von der Erhaltung der Masse geben, demzufolge auch die Materie weder erzeugt noch vernichtet, sondern nur verwandelt werden kann.
Und wenn wir sehen, dass überall da, wo geordnete Formen entstehen, neben Kraft und Stoff noch eine dritte Komponente wirksam ist, die mit Hilfe der Kraft den Stoff ordnet - ein informatives, organisierendes Prinzip, das unsere Vorfahren “Geist” genannt haben - sollte es dann nicht auch einen Satz von der Erhaltung des Geistes geben? Oder, moderner ausgedrückt, einen Satz von der Erhaltung der Information? Dem entsprechend der Geist (bzw. die Information) ebenfalls weder erzeugt noch vernichtet werden kann, sondern sich allenfalls verwandelt?
Und wenn wir einmal annehmen, dass in diesem Geist auch unser Bewusstsein enthalten ist - sollte es dann nicht auch einen Satz von der Erhaltung des Bewusstseins geben? So dass Bewusstsein ebenfalls weder erzeugt noch vernichtet, sondern nur verwandelt werden kann?
Dann aber bedeutet sterben nicht verschwinden, sondern nur: sich wandeln.
Der “Tod” der Raupe ist die “Geburt” des Schmetterlings. Aber die Raupe ist nicht wirklich tot - sie hat sich nur verwandelt, sie ist: der Schmetterling.
Wo ist das Kind, das wir vor Zeiten waren? Es ist nicht tot, aber es ist auch nicht mehr da: es hat sich verwandelt, entpuppt zu einem Erwachsenen. Und warum sollte es nicht noch mehrere solcher Wandlungen, solcher “Entpuppungen” geben, von denen manche uns als Tod erscheinen, solange sie noch nicht vollzogen sind?
Wenn unsere geistige Essenz gänzlich verschwinden soll, dann müsste sie sich in Nichts auflösen. Wenn sie sich in Nichts auflösen soll, dann müsste es ein Nichts erst einmal geben. Es kann aber kein Nichts geben, denn wenn es ein Nichts gäbe, wäre es automatisch Etwas und nicht mehr Nichts. Wenn es aber kein Nichts geben kann, dann können wir - oder sonst irgend etwas - auch nicht vernichtet werden: “Kein Tod ist in der Schöpfung, nur Verwandlung.”
Oder, wie es die Bhagavadgita sagt: “Es gibt kein Werden aus dem Nichts, noch wird zu Nichts das Seiende.”
Dies aber bedeutet, dass in der Tat jene recht haben, die da sagen: “Du lebst nur einmal”. Ja - und zwar für immer. Wir werden niemals aufhören zu leben, wir werden daher auch niemals aufhören zu wachsen, uns zu entwickeln, uns zu verwandeln - in andere Formen und Gestalten, von denen wir jetzt noch nicht einmal träumen können.
Der Sufimeister Dschelaleddin Rumi (1207-1273) sagte zu seinen Schülern: “Ich starb als Stein und wurde Pflanze, als Pflanze starb ich, wurde Tier. Das Tier verging - jetzt bin ich Mensch. Warum sollte ich fürchten, im Tode zu Nichts zu werden? Ich werde hinaufsteigen ins Reich der Engel, und was ihr euch niemals vorstellen könnt: ich werde es sein...”
Unsere täglichen Verwandlungen gehen gewöhnlich in so kleinen und unauffälligen Schritten vor sich, dass wir dies oft gar nicht bemerken. Von Zeit zu Zeit aber gibt es größere Entwicklungs­sprünge, grundsätzliche Umformungen und Neuordnungen, Gestalt­wandel, oder, wie das Fremdwort lautet: “Metamorphosen”.
Die Raupe macht es uns vor: langsam wächst sie, ohne sich wesentlich zu verändern, nur größer werdend, bis zu jenem Augen­blick, wo es Zeit wird, sich in einen Schmetterling zu verwandeln. Dann verpuppt sich die Raupe und löst ihren Körper auf, zerstört und zerlegt ihn in einfache molekulare Strukturen, aus denen sie den neuen Körper aufbaut, den Körper des Schmetterlings. Die Raupe weiß, was sie tut - daher vollzieht sich die Verwandlung ganz organisch und ohne Probleme. Wenn sie es nicht wüsste, dann aller­dings müsste ihr die Zerstörung des alten Körpers wie ein Absturz ins Chaos, wie eine totale Katastrophe erscheinen.
Bei den menschlichen “Metamorphosen” geschieht etwas Ähnliches. Auch hier muss die alte Gestalt geopfert, muss sie zerstört werden, damit aus ihr die Neue entstehen kann. Dies gilt für Kulturen ebenso, wie für Individuen. “Das Alte stürzt, es wandelt sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen”, schrieb Friedrich Schiller.
Die Auflösung der alten Ordnung ist der Preis, den man für die Neue zu bezahlen hat - und da gibt es keinen Rabatt und keine Prozente. Und die Phase des Übergangs ist immer, gemessen an dem, was war und dem was kommen wird, chaotisch. Die Raupe hat damit keine Probleme, denn sie weiß, worum es geht und sie vollzieht diesen Prozess so kurz und so schmerzlos wie möglich.
Der Mensch aber ist sich der Zusammenhänge meist nicht bewusst, und wenn er in seiner laufenden Biographie in eine solche Wandlungs­phase kommt, dann wird er von Verlustängsten und bürgerlichen Vorurteilen verführt, sich am Alten festzuklammern.
Da aber das Neue schon da ist, auf einer geistigen Ebene, und sich verwirk­lichen will und dazu Platz braucht, kommt es oft, dass nun im Äußeren eine Art Chaos hereinbricht, mit Auflösung von Beziehun­gen, Verlust des Arbeitsplatzes, Unfällen oder Krankheiten oder Ähnlichem. Dann beschimpft oder beschuldigt man gern andere, redet von “Pech” oder “Schicksal”, hadert mit Gott und der Welt - aber in Wirklichkeit ist es nur unsere eigene innere Entwicklungs- und Wachstumskraft, die hier etwas erzwingt, was wir freiwillig nicht leisten wollten: die Auflösung der alten Gestalt und der damit verbundenen Lebensumstände, damit die Neue sich entfalten kann.
Die Tibeter bezeichnen solche chaotischen Umbruchphasen mit dem Namen “Bardo”.
Als Sodom und Gomorra vernichtet wurden - auch dies eine Art “Bardophase” - geboten die Engel Gottes Lot, die Stadt zu verlassen und sagten ihm: “Errette deine Seele und sieh nicht hinter dich”. Lot hielt sich daran und kam davon. Sein Weib aber “sah hinter sich und ward zur Salzsäule”. Als Gleichnis betrachtet, sagt uns diese Stelle aus dem Alten Testament: wer in einer “Bardophase” zurückschaut, sich von dem Alten, was es zu verlassen gilt, nicht trennen kann, der bleibt in diesem Zwischenzustand hängen, erstarrt und wird sozusagen zur “Salzsäule”.
Wir sollten uns klarmachen, wie wichtig es ist, hier nach vorne zu schauen, zu dem, was da kommen soll und nicht zurück zu dem, was wir aufgeben müssen. Da der Kosmos offenbar will, dass alle Lebe­wesen sich weiterentwickeln - ein Blick auf die Geschichte unseres Planeten macht dies deutlich - und da es die eingangs zitierten Erhaltungssätze gibt, können wir nicht verlieren.
Das Leben auf diesem Planeten begann mit einfachen Einzellern, mit Bakterien. Die Bakterien waren und sind die Protagonisten der Evolution und die Basis des Lebens, heute ebenso wie vor zwei bis drei Milliarden Jahren. Bakterien können unter extremen Bedingungen überleben, und sie verdoppeln sich durch Teilung etwa alle zwanzig Minuten, wenn die Umstände es erlauben. Was Überlebensfähigkeit und Fortpflanzung angeht, sind sie die absoluten Weltmeister. Und wenn man annimmt, wie die Darwinisten es tun, dass der “Kampf ums Dasein” Ursache und Motor der Evolution ist, dann besteht kein zwingender Grund dafür, dass es etwas anderes geben sollte, als Bakterien. Alles, was über diese Einzeller hinausgeht, ist im Grunde genommen überflüssiger Luxus.
Und dennoch haben sich diese Bakterien in alles mögliche andere verwandelt - in Würmer und Weichtiere, in Krebse und Insekten, in Fische und Amphibien, in Reptilien und Vögel, in Säugetiere und Menschen. Und warum dieser gewaltige Aufwand? Weil die schöpferische Intelligenz, die sich in allen und durch alle Lebewesen äußert und in ihnen und mit ihnen die Evolution gestaltet, es so wollte. Weil es ihr nicht genügte, nur als Bakterie aufzutreten, weil sie mehr wollte - mehr Bewusstheit und Intelligenz, mehr Emotion und Liebesfähigkeit, mehr Schönheit und Komplexität. Und so zeugte sie aus sich selbst in einer unglaublichen Kette von Verwandlungen die Fülle und Vielfalt des Lebens, das diesen Planeten bewohnt und gestaltet. Und weil diese Kette nirgendwo eine Unterbrechung haben durfte, sind wir die direkten Nachkommen jener uralten Bakterien, die vor Milliarden Jahren das Lebensspiel begonnen haben.
Das Lebendige wird nicht geschaffen, sondern gezeugt. Alles Erschaffene ist tot - so wie unsere menschlichen Werke, Tische und Stühle, Teller und Tassen, Bilder und Bücher, Autos und alle anderen Artefakte. Das Lebende wird von Lebendigem gezeugt: omne vivum ex vivo. Die Eltern zeugen Kinder, die Kinder zeugen Enkel, die Enkel zeugen Urenkel - und so weiter und so fort, ohne jede Unterbrechung. Und dieser Regel folgend, haben sich die Bakterien - auf seltsamen Umwegen - schließlich, aber nicht ausschließlich, und sicherlich auch nicht abschließend, in Menschen verwandelt.
Man sagt, die Saurier seien “ausgestorben” - aber das stimmt nicht. Sie sind genau so wenig “ausgestorben”, wie die Raupe, die zum Schmetterling wurde - sie haben sich nur verwandelt. In Vögel, in Säugetiere, in Menschen. Wir sind die Saurier - nur in etwas anderer Gestalt. Auch die Vormenschen und Urmenschen sind nicht “ausgestorben” - sie haben sich ebenfalls nur verwandelt. Wir sind die Urmenschen - nur in etwas anderer Gestalt. Und was das Benehmen angeht, so haben wir uns fast gar nicht geändert - da bleibt noch reichlich Spielraum für künftige Generationen, bis die Möglichkeiten des Menschentypus - im positiven Sinne - ausgeschöpft sind. Und dann wird wieder etwas Neues kommen - ein bewussteres, liebevolleres, schöneres Wesen. Und auch wenn wir es uns jetzt noch nicht vorstellen können: wir werden es sein.
Das Lebensspiel ist vielleicht das einzige Spiel, in dem es, auf lange Sicht, nur Gewinner gibt. Wir werden morgen immer mehr sein - wohlgemerkt: sein, nicht besitzen - als wir heute sind. Wir sollten also nicht zögern, unsere Spielzeuge, unsere Kostüme und schließlich auch unseren Körper zurückzugeben, denn das Leben ist ewig, wir sind unsterblich, und alles, was wir für unsere weitere Entwicklung brauchen, liegt schon bereit.

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